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Tag Archives: Berlin

Berlin. Mit seinen Mikrokrediten für Arme hat der Wirtschaftsprofessor Muhammad Yunus das Bankgeschäft revolutioniert. 2006 wurde er dafür mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Seitdem macht der Banker aus Bangladesch Geschäfte mit multinationalen Unternehmen wie Danone, Veolia oder BASF und nennt es „Social Business“. Was genau verbirgt sich hinter diesem neuen Unternehmenstypus und Yunus‘ Vision Armut ins Museum der menschlichen Geschichte zu verbannen? Wann sind Unternehmen eigentlich sozial – und welche Rolle spielen „Social Entrepreneurs“ in der Bewältigung globaler Herausforderungen?

Mit diesen Fragen werden sich Ende Oktober (28.-31.10.2010) rund 30 Stipendiaten und Alumni des Cusanuswerks bei einer wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen Tagung in Berlin auseinandersetzen. Ziel der dreitägigen Veranstaltung ist die kritische Auseinandersetzung mit der Rolle von Unternehmen und „Social Entrepreneurs“ in der Gesellschaft. Der Fokus soll dabei auf den Chancen, Risiken und Grenzen des „Social Business“-Ansatzes liegen. Ausgehend von der theoretisch-konzeptionellen Auseinandersetzung mit diesem neuen Phänomen wollen sich die Stipendiaten intensiv mit Praxisbeispielen aus Deutschland (z.B. teach first, Dialog im Dunkeln) sowie verschiedenen Entwicklungs- und Schwellenländern befassen (z.B. Grameen Danone Foods Ltd. und Grameen Veolia Water Ltd. in Bangladesch, Allianz Micro Insurance in Indien).

Gemeinsam mit dem Geschäftsführer des Bundes Katholischer Unternehmer (BKU) soll darüber hinaus untersucht werden, wie sich die Katholische Soziallehre zu Phänomen „Social Business“ verhält. Wie denkt der Papst über „Social Business“? Und bräuchte ein Land wie Deutschland diesen Unternehmenstyp überhaupt, wenn die Idee der sozialen Marktwirtschaft in vollem Umfang gelebt würde?

Berlin. Nachdem der "Vision Summit" im vergangen Jahr eine finanzielle Pleite war, hätte er in diesem Jahr fast nicht stattfinden können, munkeln Insider bei dem diesjährigen "Social Business"-Event in Berlin. Das wäre zweifelsohne ein Verlust gewesen. Yunus‘ Vision von der Überwindung der Armut durch "Social Business" hat ihren Charme – und auch in diesem Jahr fast 1000 Menschen nach Berlin gelockt. Allerdings erstaunlich wenige Unternehmensvertreter.

Zwar waren in diesem Jahr mit Dr. Michael Otto (Aufsichtsratsvorsitzender der Otto Group und Initiator von "Cotton made in Africa"), Dr. Jürgen Hambrecht (Vorstandsvorsitzender der BASF und Partner im Grameen-BASF Social Business Joint Venture) sowie Prof. Götz Werner (Gründer der dm-Drogeriemärkte) einige hochkarätige Unternehmer als Podiumsgäste dabei; doch ansonsten war der "Vision Summit" wie im vergangenen Jahr von Stiftungen, NGOs und Studenten geprägt. Bei der Frage von Prof. Günter Faltin an das Publikum, wie viele der Besucher für ein größeres Unternehmen arbeiten, gehen von mehr als 500 Menschen im Hörsaal nur etwa 10 bis 15 Hände in die Höhe.

Woran liegt das? Vielleicht daran, dass beim "Vision Summit" statt von profitablen Geschäftsmodellen, Märkten und Kunden von der Rettung der Welt, Pilotprojekten und Liebe die Rede ist? Regelrecht wohltuend waren da die Aussagen von BASF-Mann Hambrecht: "I am a strong supporter of the social market economy approach, but if the economic part doesn’t work, the social part doesn’t work also". Das Gleiche gilt sicher auch für "Social Business". Umso erstaunlicher, dass von wirtschaftlichen Kennzahlen beim "Vision Summit" keine Rede ist.  

Auch wenn die Veranstaltung in diesem Jahr deutlich weniger esoterisch daher kam als 2008, hapert es beim "Vision Summit" an der kritischen (d.h. auch ökonomischen) Auseinandersetzung mit dem "Social Business"-Konzept. Was kann der Ansatz wirklich leisten? Welche Hürden müssen Unternehmer bei der Entwicklung von "Social Businesses" überwinden? Wo liegen die Grenzen von "Social Business" in der Armutsbekämpfung – und wie verhalten sich Kosten und Nutzen im Vergleich zu klassischen Ansätzen der Entwicklungszusammenarbeit? Wer mit Fragen wie diese in die Freie Universität von Berlin gekommen war, wurde enttäuscht. Selbst im sogenannten "Parliament of Action" zum Thema Bildung und Medien, hatte niemand auf der Bühne einen kritischen Beitrag zu leisten  – und für Nachfragen aus dem Publikum blieb keine Zeit.

Dabei hätten Verständnisfragen sicher zur konzeptionellen Schärfung des "Social Business"-Begriffs in Deutschland beigetragen. Denn während Prof. Muhammad Yunus weiterhin die Grameen-Kriterien (soziales Ziel, profitables Geschäftsmodell, keine Dividenden) hochhält, vermittelten Referenten wie Prof. Stephan Breidenbach von der Humboldt-Viadrina School of Governance den "Vision Summit"-Besuchern eine wesentlich breiter gefasste Definition von "Social Business". So sprach Prof. Breidenbach von der "Lösung sozialer Probleme durch unternehmerisches Denken und Handeln". Eine Definition, die anders als die Yunus’sche nichts über die Ausschüttung von Gewinnen aussagt. Dabei ist gerade dieser Punkt für Yunus entscheidend.

Welche Rolle spielen Dividenden für die Kapitalbeschaffung und Finanzierung von "Social Businesses" – und was an "Social Business" ist eigentlich sozial? Yunus‘ Antwort darauf ist kurz und knapp: "It’s not for me. It’s for others". Aber ist das, was ich für andere tue automatisch sozial? Wer oder was legitimiert mein Handeln? Wer setzt die Standards, und wer behält die tatsächlichen Effekte meiner "sozialen" Aktivitäten im Blick? Gute Intentionen produzieren noch lange keine guten Ergebnisse. Wenn der nächste "Vision Summit" zur Diskussion dieser Themenkomplexe beitragen würde, wäre viel gewonnen. Spätestens im übernächsten Jahr sollten dann auch die bestehenden "Social Business"-Unternehmen so weit entwickelt sein, dass ein Austausch über die tatsächlichen Effekte (seien sie intendiert oder nicht) möglich sein sollte.

Eindrücke vom "Vision Summit" in Berlin ("Social Business – Just try it"):

  • Über 700 Yunus-Fans im Audimax des Berliner Henry-Ford-Baus und hochkarätige Gäste (Muhammad Yunus inklusive). Ein überwältigendes Programm, dass das Genisis-Institut innerhalb weniger Monate auf die Beine gestellt hat.
  • Applaus für das Engagement einer 25-jährigen Hochschulabsolventin, die armen Kindern in Togo zu einer eigenen Schule verholfen hat. Spendenfinanziert.
  • Ein Ashoka-Fellow mit kreativen Ansätzen zur Förderung und Integration von Kindern mit Migrationshintergrund und herrlich komödiantischem Talent (Murat Vural, IBFS e.V. ). Ein inspirierender "Social Entrepreneur".
  • Ein 68-jähriger Friedensnobelpreisträger, der nicht müde wird seine Vision von der unternehmerischen Überwindung der Armut zu verbreiten. Denn wenn die Menschen auf den Mond fliegen wollen, dann machen sie es. Und wenn sie die Armut besiegen wollen, dann schaffen sie das auch, so Yunus.
  • Ein tolles Forum für Netzwerker. Das Ergebnis: Zahlreiche Visitenkarten und neue Kontakte zu Menschen, die ihr "Business Know-How" sinnvoll zur Lösung gesellschaftlicher Probleme einbringen wollen.
  • Ein Allianz -Vertreter, bei dem das Mikro trotz vielversprechender Aussagen über Mikroversicherungen in Indien zuerst streiken will. Ein kurzer Beitrag, der zeigt, dass sich auch gewinnorientierte Konzerne ernsthaft mit der Idee des "Social Business" auseinandersetzen.
  • Zwei Marketingmitarbeiter eines großen deutschen Automobilbauers, die froh sind beim Vision Summit "viel positive Energie" zu tanken.
  • Eine Ashoka -Vertreterin, die unmissverständlich erklärt, dass "Social Business" kein Allheilmittel für die Probleme dieser Welt sein kann, sondern nur eine "Unterkategorie von Social Entrepreneurship" ist. Eine Methode, keine Geheimwaffe.
  • Ein österreichischer Professor, der sich selbst als "zuckerfreien G-Punkt-Stimulator" tituliert, und damit einen weiblichen Lachkrampf im Hörsaal A der Freien Universität auslöst. Dabei steht das "G" nur für "genug".
  • Entrüstete Blicke im Audimax bei der Frage eines Teilnehmers nach "echten Social Business-Beispielen" jenseits der Grameen-Familie (Grameen-Danone Ltd., Grameen-Veolia Ltd., etc.).
  • Eine Geschäftsfrau mit innovativen Ideen im Online-Bereich. Ihr Internetportal für strategischen Konsum (www.utopia.de ) zeigt, wie sich auch mit Nachhaltigkeit Geld verdienen lässt.
  • Eine Fotoausstellung zur Würde der armen Menschen in Bangladesch.
  • Ein Unternehmensberater, der "vor lauter Gutmenschentum", fluchtartig das Feld räumen will. "Diese Veranstaltung ist mir echt zu esoterisch!"
  • Ein Danone -Vertreter, der sich die betriebswirtschaftliche Auseinandersetzung mit "Social Business" wünscht. "Social Business ist ein plakativer Begriff. Aber was bedeutet diese Idee in der Praxis? Vor welchen Herausforderungen stehen Unternehmen bei dem Versuch innovative Lösungen für die Armen in Entwicklungsländern zu finden?"
  • Zwei junge Studentinnen, die erkennen, dass sie Pioniere in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit "Social Business" sind.
  • Ein Geschäftsführer der Andheri-Hilfe , der mit seinen Aussagen über den Vertrieb von Solaranlagen in Indien und Bangladesch, den Markt, seine Kunden und den Kapitalbedarf vielen Teilnehmern die "Social Business"-Idee begreiflicher macht.
  • Ein Lehrer auf der Suche nach einem Finanzierungsmodell für die schulische Kantine, der erkennt, dass die Diskussion um "Social Business" ihm noch keine Patentrezepte liefern kann.
  • Leidenschaftliche Debatten beim Kaffee: Wer entscheidet eigentlich was sozial ist? Inwieweit kann "Social Business" wirklich mehr sein als ein Instrument zur Armutsbekämpfung in Entwicklungsländern? Welche Perspektiven hat die "Social Business"-Idee in Deutschland?
  • Fazit: Zwei Tage mit philanthropisch motiverten Menschen, die beim nächsten "Vision Summit" sicher wieder dabei sind. Doch die "Business"-Komponente beim "Social Business" ist für viele dieser Philanthropen offenbar (noch) zweitrangig. Was bislang fehlt, sind greifbare Praxisbeispiele. Woran es noch hapert, ist die unmissverständliche Kommunikation des "Social Business"-Konzepts in Abgrenzung zu Begriffen wie "Social Entrepreneurship" und Philanthropie.

Seit Anfang August gibt es mit dem "GENISIS Institute for Social Business and Impact Strategies", kurz GENISIS Institut , neben dem "Social Business Network" eine weitere Institution, die sich der Förderung und Weiterentwicklung des "Social Business"-Gedankens in Deutschland verschreibt. Das GENISIS Institut ist eine gemeinnützige GmbH in Gründung, die Forschung und Beratung zum Thema "Social Business" betreibt.

Institutsleiter Peter Spiegel spricht von einem Paradigmenwechsel, der durch das Beispiel des Friedensnobelpreisträgers Muhammad Yunus aus Bangladesch möglich geworden ist: Mit Hilfe marktwirtschaftlicher Prinzipien lassen sich viele soziale und / oder ökologische Herausforderungen offenbar effizienter und wirksamer meistern als durch klassische "Charity"-Maßnahmen.

Vom 1. bis 2. November 2008 veranstaltet das GENISIS Institut gemeinsam mit zehn Co-Veranstaltern einen internationalen Kongress zum Thema "Unternehmen Bessere Welt: Social Business". Bei diesem "Vision Summit" setzen sich neben Muhammad Yunus zahlreiche "Social Business"-Unternehmer und Interessenten mit der Frage auseinanander, welche Bedeutung "Social Business" aus Sicht der Wirtschaft und des dritten Sektors für die Bewältigung gesellschaftlicher Herausforderungen erlangen kann.